Wie alles anfing... Fotos im Bilderkasusell zum folgenden Text!
Hausgeburt, eiskalt am 30.12.1952 in der Arnulfstraße im Stadtteil Heiligkreuz in Trier. Eisblumen wuchsen am kleinen Dachgaubenfenster und meiner Mutter ging es sauschlecht. Sie war 28 und hatte wenig Erfahrung mit Kinderkriegen, vielleicht wusste sie etwas über die Geburten ihrer Geschwister in Dillingen/Saarland (sie war das dritte von 5 Kindern), aber ich glaube, sie hatte keine Ahnung, was da auf sie zu kam und was passierte.
Es gab immer wieder die Erzählung, dass die Geburt schwer, die Schmerzen schlimm und alles unschön gewesen sei, nochmal wollte sie das nicht erleben. Und so war es dann auch, sie bekam kein zweites Kind. Aussagen meines Vaters dazu gab es nie, ich kann mich an keine erinnern und die Schlüsse, die meine Mutter zwischen Sex mit meinem Vater und meiner Geburt zog, führten zu einem sehr kargen Sexleben meiner Eltern. Meine Mutter zeigte ihr ganzes Leben eine deutliche Abneigung allem Geschlechtlichen gegenüber und mein Vater nahm es hin...
Ich weiß nicht, ob und wer noch bei der Geburt zugegen war, eine Hebamme wird es wohl gegeben haben, denn Hausgeburten waren 1952 in Trier noch üblich und wahrscheinlich die Mehrzahl der Geburten. Ob mein Vater auf der Treppe vor der Einzimmerwohnung mit Wohnküche seine "Africaine" rauchte oder für die Herstellung des "heißen Wassers" auf dem Kohleküchenherd zuständig war, weiß ich auch nicht. Auf Nachfragen bei meiner Mutter, wie ich denn "auf die Welt gekommen sei" - so im Alter zwischen fünf und sieben - erinnere ich mich allerdings und die Antwort war: Ich hätte plötzlich zwischen ihnen (meinen Eltern) im Bett gelegen.
Dieses Bett stand also im 2ten Stock - der Mansarde eines moselfränkischen "Stadtbauernhofs" in besagter Arnulfstraße, in einem der beiden Zimmer, in dem ich auch die ersten 8 Jahre meines Lebens zusammen mit meinen Eltern schlief, zunächst im Kinderbettchen und irgendwann dann in einem "Klappbett", das tagsüber an die Wand hoch geklappt werden konnte und das ich auch in dem später bezogenen Haus noch benutze.
Das Haus gehörte dem Bauern Konrad (Remmels) und seiner Frau, die Parterre wohnten, seine beiden Schwestern (Barbara und Anne) "Tant' Bäbbi und Tant' Änni" wohnten im 1.Stock, gemeinsam in 2 Zimmern, ebenso wie Frau Lentes mit ihrem erwachsenen Sohn, der einen mir Angst machenden Schäferhund besaß und ich weiß bis heute immer noch nicht, wer in mir mehr Angst auslöste: Hund oder Herrchen!?
Neben unserer "Kniestock"-Wohnung befand sich der "Speicher" - im wahrsten Sinn des Wortes, denn der Raum wurde halb als Getreidespeicher und als Standort für die Räucherkammer genutzt. Den "Rauch-/Getreidestaubgeruch" dieses Raums kann ich heute noch sofort erinnern und zeitweilig war dieser Raum auch Spielplatz für mich. Der kleine Getreidehügel war ein "Inhouse-Sandspielplatz", meist warm, entfernt-rauchig und trocken.
Toiletten und Bäder gab es in dem Haus nicht, im Hof auf dem Weg zum durchaus großen Bauerngarten befand sich - etwas abgesetzt von der Waschküche, die auch als Wurstküche nach Schlachtung (im selben Waschkessel) genutzt wurde - der "Abtritt": ein Holzverschlag mit zwei kleinen Kabinen - gebaut in klassischer Plumpskloarchitektur: Brett, kreisrundes Loch, Holz-Deckel mit Griff und zugeschnittenes Zeitungspapier am Rand des Sitzbrettes.
Den Luxus eines Wasserspülklosetts, das unter den ersten Treppenaufgang gebaut und von allen Bewohnern des Hauses genutzt wurde habe ich aber auch noch erlebt. Ansonsten wurden die sanitären Bedürfnisse mit Pisspott und Emaille-Eimer im Schlafzimmer befriedigt und ähnlich wie die Briketts nach oben geschafft werden mussten - nach unten in den "Abtritt" verbracht.
Seine wesentlichen Einnahmen erzielte Bauer Konrad wohl durch die Mieteinnahmen, denn von den drei "Bauernhöfen", die zwischen 1952 und 1965 noch in der Arnulfstraße existierten war Remmels' der kleinste. Der typische moselfränkische Hof im Dorf oder der Stadt ist oft Teil der unmittelbar aneinandergereihten Bebauung, die Durchfahrt in den Hinterhof geschieht durch die Scheune des Wirtschaftsgebäudes und vor dieser steht und stand zur beschriebenen Zeit die "Mistkaul" - also die Jauchegrube mit dem ausgemisteten Stroh und den sonstigen zu entsorgenden Abfällen eines Bauernhofs.
Konrad hatte Viehwirtschaft und ernährte diese Tiere mit dem Eigenanbau von Getreide und Heu, die Felder lagen etwa einen Kilometer entfernt am Matheiser Weiher und seine größte Heuwiese unmittelbar am damals neu gebauten Freibad der Stadt, dem Südbad. Im Sommer wurden also zwei der vier bis fünf Kühe, die er hatte, als Zugtiere vor den Heuwagen gespannt, bzw. vor den Heuwender, gesenst wurde tatsächlich noch von Hand, und dann ging's mit dem Kuhwagen zum Schwimmbad. Kein Ochse, kein Pferd, schon gar kein Traktor, nein - es waren die Kühe, die abends wieder gemolken wurden und deren Milch an nicht viele, aber immer vorhandene Kunden in der remmels'schen Küche abgegeben wurde. An einen Milchwagen zur Abgabe der Milch an eine Molkerei kann ich mich nicht erinnern.
Neben den Kühen gab es noch ein paar Schweine, die im hinteren Hof geschlachtet und in der Wurst(Wasch)küche verarbeitet wurden, und der Garten war von Hühnern bevölkert.
Ich erinnere mich an Situationen, die sehr gemütlich waren, nämlich wenn ich am Abend zur Milchabholzeit auf Konrad's Schoß saß und er mir kleine Scheiben Speck abschnitt - alles perfekt in der Kreislaufwirtschaft - vom "glücklichen" Schwein, selbst geschlachtet, ohne Tiertransport, gefüttert mit den brauchbaren Resten eines kleinen Wohnhauses und gekochten Kartoffeln vom eigenen Acker. ABER: Konrad war jähzornig und nicht oft in guter Stimmung, er konnte das ganze Haus zusammenbrüllen und alle hatten gehörigen Bammel vor ihm - auch seine beiden schon fast erwachsenen Kinder, die in der etwas größeren Parterrewohnung mit den Eltern lebten.
Ursula - seine Tochter - war bereits in der "Lehre" als Bürokauffrau in einem größeren Trierer Bauunternehmen und sie nahm mich am Samstag manchmal mit in's Büro, wenn nur wenige oder gar keine anderen MitarbeiterInnen da waren und dann durfte ich auf der Schreibmaschine tippen - ein außerordentliches Vergnügen - oder mit Kohlepapier mehrere Kopien meines Gekritzels machen - magisch! Das Allergrößte aber war: ich bekam eine Flasche Coca-Cola - das war die große, weite Welt! Diese Mischung aus Amibrause, dem Geruch eines 50ger Jahre holzbemöbelten Büros und den kohlepapierverschmierten Fingerkuppen ist mir ähnlich präsent wie der Speichergeruch neben unserer Wohnung.
Franz Rudolf Bornewasser, Familienwerk