Helene Soxhlet (1885 - 1967), verwitwete Urhahn, geb. Pfeiffer und Friedrich (Fritz) Soxhlet (1888 -1975) - das waren meine Großeltern väterlicherseits. Helene war seit ? mit ? Urhahn verheiratet und hatte bereits 2 Kinder: Karl und Luise. Über das Zusammenkommen von Helene und Fritz wurde in der Familie immer ein kleines Geheimnis und Gewese gemacht, denn als der kleine Felix - mein Vater - geboren wurde, war ziemlich klar, dass die erwartete Trauerzeit nicht eingehalten wurde und somit bekam er dann den Nachnamen "Urhahn" - und nicht den seines leiblichen Vaters. Sein später geborener Bruder Peter hieß dann "Soxhlet" - eine kleine Irritation blieb bei mir immer, wieso diese Namen so durcheinander gingen...
Helene arbeitete bei der "Regierung" - sie war also nicht "nur" Hausfrau - sondern sie putze lange Jahre die Böden und Büros der Bezirksregierung des Regierungsbezirks Trier (seit 1956 im wiederaufgebauten kurfürstlichen Palais am Palastgarten). Fritz hatte Schnapsbrenner gelernt, ich weiß aber gar nichts über seine Ausbildung und seine Tätigkeit in dem gelernten Beruf. Einen Teil seines Berufslebens verbrachte er als Bierkutscher bei der Caspary-Brauerei und als die Pferdefuhrwerke abgeschafft wurden fuhr er als Beifahrer auf den großen Elektro-Lastwagen, die die Brauerei als Ersatz angeschafft hatte. Seine letzte Arbeitsstelle - die muss er weit bis nach seinem Renteneintritt gehabt haben - war als Bauhilfsarbeiter beim trierischen Bauunternehmen Horsch.
Meine Oma - Helene - kam 1963 oder 1964 aus der gemeinsamen Wohnung mit Fritz in der Metzelstraße zu uns in das neue Reihenhaus in der Werdingstraße, da war sie um die 77 Jahre alt. In Erinnerung habe ich eine kleine weißhaarige Frau mit Dutt, die immer freundlich im Wohnzimmer saß und ab und zu mit "beeindruckenden" O-Beinen - sich überall festhaltend - auf die Terrasse ging oder mit erheblichem Kraftaufwand und der Hilfe meiner Mutter sehr früh am Abend die Treppe hinauf in ihr kleines Zimmer - eher krabbelnd als aufrecht gehend - gebracht wurde.
Als sie zu uns zog hatten wir bereits einen Fernseher und die Sendungen des 1.Programms (ARD) begannen um 17h. Für die Oma - die sicherlich zu dieser Zeit schon leicht dement war - gab es dann noch 1 oder 2 Stunden TV und manchmal mühte sie sich aus ihrem Sessel, ging gebeugt mit ihrem so markanten Gang zum Fernsehgerät und klopfte an die Scheibe, um mit den Personen, die sie sah, zu sprechen. (Hinweise zum TV-Programm zu dieser Zeit findest Du auf dieser site).
Fritz blieb zunächst in der Metzelstraße (weitere Infos hier) und kam immer Sonntags zu Besuch, er war ja drei Jahre jünger aber auch in viel besserer körperlicher Verfassung als Oma Helene. Als die Oma dann 1967 starb - ich kann mich überhaupt nicht mehr erinnern, ob das zu Hause geschah oder ob sie noch ins Krankenhaus kam, gab es eine "großelternlose" Zeit und ich habe eine dunkle Erinnerung an die Erleichterung meiner Mutter nach dem Tod von Oma Helene, weil die ganze Last der Pflege von ihr getragen wurde. Erstaunlich für mich war, dass ich meine Mutter weinen sah nach dem Tod meiner Oma, denn ich weiß noch, dass das überwiegende Gefühl eher Anspannung, Last - ja auch Ärger zwischen den beiden war und mich die emotionale Reaktion meiner Mutter überraschte.
Ich weiß nicht mehr genau, wann dann Opa Fritz das kleine Zimmer bezog, in dem zuvor Oma Helene gewohnt hatte. Es kann 1968 oder 1969 gewesen sein. Er ging jeden Tag morgens aus dem Haus in die Stadt, ob und mit wem er sich dort traf, weiß ich nicht. Zum Mittagessen kam er wieder und saß danach am Tisch im Wohnzimmer und schlief auf dem Stuhl. Ob er wieder weg ging weiß ich nicht mehr, ich habe verschwommene Erinnerungen an Spaziergänge von ihm - alleine.
Sonntags saß ich nach dem Mittagessen mit ihm im Wohnzimmer, der Fernseher lief, er schlief zunächst am Tisch und wenn er wach wurde, gab er mir "Sonntagsgeld" zwei Mark, später fünf. Die waren für mich wichtig, weil sie waren bis Mitte 1970 eine konstante und wichtige Einnahmequelle - der leicht schnarchende Opa war also zu ertragen, während im TV der damalige Wochenspiegel lief - eine Sendung, die Zusammenschnitte aus den dritten Programmen der ARD zeigte.
Opa Fritz hatte beim Nachhausekommen am Mittag immer einen gewissen Alkoholpegel, der sich aber nicht weiter negativ bemerkbar machte, er war eher gedämpft und ruhig und schlief dann am Wohnzimmertisch ein, während mein Vater wieder zur Arbeit ging, meine Mutter die Küche aufräumte und ich in mein Zimmer oder nach draußen ging. Wenn aus mir unbekannten Gründen der Opa zu viel Bier konsumiert hatte, begann er französisch zu sprechen. Ob seine Worte Sinn ergaben konnte ich nicht erkennen - Französisch mochte ich nicht (in der Schule hatte ich mich für Latein entschieden - Fehler!) als Begründung führte ich immer meinen besoffenen Opa an, der eben im Zustand der Trunkenheit Französisch sprach.
Warum Französisch? Das wenige, dass ich von ihm weiß ist, dass er im ersten Weltkrieg in Frankreich an der Westfront kämpfen musste und in französische Kriegsgefangenschaft geriet. Das erklärt seine Kenntnisse, ich weiß aber überhaupt nichts über seine sonstigen Kriegs- und Kriegsgefangenschaftserfahrungen.
Als ich 1972 aus Trier zum Studieren nach Koblenz ging sah und erlebte ich ihn immer seltener und habe nur noch schwache Erinnerungen an einen Besuch im Krankenhaus oder in einem anderen Fall den Transport mit dem Krankenwagen dorthin, nachdem er eine starke Blutung hatte. Er ging dann in den letzten beiden Lebensjahren auch kaum noch aus dem Haus und saß vor dem Fernseher, sprach wenig und starb schließlich - wenn ich es richtig erinnere - im Herz-Jesu-Krankenhaus nach kurzem Aufenthalt.
Meine Mutter war erleichtert, hatte sie (nun 51 Jahre alt) die letzten 10 Jahre mit kurzer Unterbrechung die Eltern ihres Mannes "behütet und gepflegt". Ich weiß nicht welche Beziehung mein Vater zu seinem Vater hatte. Er war halt da und eine Altenpflegeeinrichtung war keine Alternative, ob aus Geld- oder Platzmangel weiß ich nicht, es war aber auch eine Übernahme der Verantwortung für die Eltern, andere noch lebende Nachkommen gab es zu dieser Zeit nicht mehr. Die Verantwortung lag auf den Schultern meiner Mutter....
Was bleibt von den "Trierer Großeltern"? Ganz bruchstückhafte Erinnerungen an Besuche in der Metzelstraße in Trier, die ihren Höhepunkt hatten, wenn ich mir die Nase an den Schaufenstern im Spielzeugkaufhaus "Theisen" oder beim Kaufhaus "Hägin" plattdrücken durfte. Die Erfahrung mit alten Menschen unter einem Dach zu wohnen und ihre manchmal "wunderlichen" Verhaltensweisen zu akzeptieren und auch zu ertragen....